So funktioniert das Amazone-Ersatzteillager –
Wo Roboter durch die Halle flitzen
Tecklenburg-Leeden – Ohne Computer geht in einem modernen Lager nichts mehr. Erst recht nicht, wenn wie bei Amazone mehr als 42 000 verschiedene Ersatzteile vorgehalten werden – von kleinen Muttern und Passscheiben bis zum sechs Meter breiten Mittelausleger für Pflanzenschutzspritzen. Die sofortige Teileverfügbarkeit liegt bei rund 98 Prozent.
Von Frank Wiebrock
Es ist der Hort für Ersatz- und Verschleißteile: Wer wie die Hasberger Amazonen-Werke fast weltweit hochkomplexe Landmaschinen vertreibt, muss auch sicherstellen, dass die Maschinen zuverlässig laufen – und dass Havarien schnell behoben werden. Eine Schlüsselrolle spielt dabei seit knapp einem Jahr das neue Ersatzteilzentrum im Werk Leeden. Ein Blick hinter die Kulissen:
Die Grundidee eines Teile-Lagers hat sich in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten kaum verändert: Was auf der einen Seite hereinkommt, wird erfasst, sortiert und eingelagert. Auf der anderen Seite verlassen angeforderte Teile das Lager dann wieder. Zwischen diesen beiden Fixpunkten liegt die eigentliche Herausforderung: Eingelagerte Verschleiß- und Ersatzteile sollten schnell auffindbar und natürlich in der benötigten Stückzahl vorhanden sein.
Was sich dagegen verändert hat: Männer in grauen Kitteln mit Block und Bleistift, die Lagerbestände und -orte quasi im Kopf hatten, sind ebenso Geschichte wie Mikrofiche-Lesegeräte, mit denen sich zumindest die Teilenummern ermitteln ließen. Ohne Computer geht in einem modernen Lager nichts mehr. Erst recht nicht, wenn wie bei Amazone mehr als 42 000 verschiedene Ersatzteile vorgehalten werden – von kleinen Muttern und Passscheiben bis zum sechs Meter breiten Mittelausleger für Pflanzenschutzspritzen. Die sofortige Teileverfügbarkeit liegt bei rund 98 Prozent. Der Rest werde bei Bedarf kurzfristig aus den Produktionsstandorten bestellt und geliefert, erläutert Carolin Wiebusch-Rankonjac , die das zentrale Ersatzteillager, das „Global Parts Center“, in Leeden leitet.
Modernes Ersatzteillager
Anfang des vergangenen Jahres haben die Amazone-Werke dort ihr neues, modernes Ersatzteillager in Betrieb genommen. Denn das alte Lager im Hasberger Stammhaus war den steigenden Anforderungen nicht mehr gewachsen, die komplette Ersatzteillogistik wurde schließlich nach Leeden verlegt. Die Hallen dort waren zwar schon vorhanden, abgesehen davon konnten sich die Logistikplaner aber frei entfalten. Herausgekommen ist ein hocheffizientes, an vielen Stellen automatisiertes Lager. Trotz aller Technik: Die Ersatzteillogistik hat rund 60 Mitarbeiter, gearbeitet wird in Leeden zwischen 6 und 22 Uhr.
In der Hochsaison verlassen pro Tag bis zu 1000 Packstücke täglich das Lager: Pakete oder auch Paletten mit Teilen, die in Leeden genau dafür vorgehalten werden. Denn am Anfang steht, wie in jedem Logistikbetrieb, der Wareneingang. Hier laufen die Teile ein, werden geprüft, registriert, teilweise zu Wartungs- und Reparatursets kombiniert, um dann im „Bauch“ des Lagers zu verschwinden, bis sie gebraucht werden. Denn das eigentliche Herzstück in Leeden ist neben dem elektronischen Warehouse-Management-System das Automatische Kleinteilelager (AKL).
Alles, was dafür nicht zu groß oder zu schwer ist, verlässt, verpackt in genormten grauen Kisten, über Rollbänder den Wareneingang und wird im Automatischen Kleinteilelager eingelagert – nicht von Menschen, sondern von Maschinen. Zwischen den abgeschotteten, 52 Meter langen und hallenhohen Regalreihen sausen vier „Hochleistungs-Regalbediengeräte“ hin und her, schieben Kisten in die Regale, entnehmen andere, die dann auf den Rollbändern zu den Kommissionierungsstationen geleitet werden.
Das System optimiert sich ständig
Bis zu 27 000 dieser grauen Normbehälter können in dem AKL auf engstem Raum gelagert und – wichtiger – auch wieder abgerufen werden. Was genau wo liegt? Auch Carolin Wiebusch-Rankonjac zuckt mit den Schultern. Das System optimiert sich ständig, sortiert die Kisten so ein, dass die Wege innerhalb des Kleinteilelagers möglichst kurz sind. Und schaltet, wenn gerade nichts anderes anliegt, in den Inventurmodus. Dann werden die Kisten zu den Kommissionierstationen geschickt – nicht weil ein Ersatzteil benötigt wird, sondern um den Bestand zu zählen, um Soll und Ist abzugleichen.
Auch die Arbeit an den Kommissionierstationen hat sich geändert: Aufträge werden nicht mehr linear Schritt für Schritt abgewickelt, sondern parallel. Aus dem AKL rollen die Kisten mit Teilen vor, die in die ebenfalls anrollenden Auftragskisten gepackt werden.
Ob das, was in die Kisten gelegt wird, tatsächlich Sinn macht, ob auch alles Benötigte dabei ist, das lässt sich so für die Kommissionierer kaum mehr nachvollziehen. Deshalb gibt es vielfältige Hilfen: Eine davon ist „Pick-by-Light“: Leuchten weisen auf das richtige Fach im Behälter, im Laufband eingebaute Waagen überprüfen immer wieder, ob das Gewicht stimmig ist. Vier kleine Schrauben, die zusammen fünf Kilo wiegen? Passt nicht, die Kiste würde zurück zum Kommissionierer geleitet.
„Wir streben eine Teileverfügbarkeit von mindestens zehn Jahren an, aber wir haben auch nach wie vor viele Teile für Maschinen, die 30 Jahre und älter sind. “
Carolin Wiebusch-Rankonjac,
Passt alles, dann geht es über die Laufbänder weiter zu den Packstationen. Bei der Wahl der richtigen Verpackung hilft neben der Erfahrung auch der Computer. Hier ist der einzige Bereich, wo tatsächlich noch Papier zum Einsatz kommt: zum Polstern, aber eben auch als Frachtpapiere.
Über die Hälfte der in den Ersatzteillisten aufgeführten Artikel lagert in diesem AKL. Was nicht in die standardisierten Boxen passt, wird im Schmalganglager vorgehalten. Der Name ist Programm: In 33 dicht beieinander stehenden Regalreihen mit jeweils zehn Ebenen können rund 12 500 Gitterboxen verstaut werden. Schmale Stapler werden automatisiert durch die kaum breiteren Gänge geleitet. Hier kommen nicht die Teile zum Kommissionierer, sondern der Kommissionierer zu den Teilen. Das gilt auch für den Lang- und Sperrgutbereich, in dem all das gelagert wird, was auch für Gitterboxen zu groß ist. Insgesamt stehen in Leeden 11 000 Quadratmeter Hallen- und 9000 Quadratmeter Außenfläche zur Verfügung.
Platz genug für die kommenden Jahre
Platz genug – zumindest für die kommenden Jahre. Denn seit Gründung der Amazone-Werke wurden rund zwei Millionen Maschinen vom einfachen Düngerstreuer bis zur hochkomplexen selbstfahrenden Spritze gebaut und verkauft, allein in den vergangenen drei Jahren jeweils rund 20 000 Maschinen pro Jahr. Und all die müssen gewartet und manchmal eben auch repariert werden.
Und Letzteres meistens unter Zeitdruck, denn die Maschinen werden gebraucht. Was bis 18 Uhr als Bestellung einläuft, wird deshalb auch noch am gleichen Tag auf den Weg gebracht. Gerade wenn es eilig ist, bestellen viele Kunden in Europa per Nachtversand. Die Ware werde dann bis 8 Uhr am kommenden Tag zugestellt, erklärt Carolin Wiebusch-Rankonjac.
In Leeden werden nicht nur Teile für das aktuelle Programm vorgehalten: „Wir streben eine Teileverfügbarkeit von mindestens zehn Jahren an“, betont Carolin Wiebusch-Rankonjac, „aber wir haben auch nach wie vor viele Teile für Maschinen, die 30 Jahre und älter sind.“ Schließlich sei eine lange und gute Teileverfügbarkeit ein wichtiges Kriterium für das Image eines Herstellers.
Und wenn ein Ersatzteil nicht mehr in den Listen geführt wird? Dann ist am Ende doch wieder der Mensch im grauen – oder bei Amazone eher grünen – Kittel gefragt. Denn bei älteren Landmaschinen ist es möglicherweise ähnlich wie bei Oldtimern: Auch wenn das gesuchte Teil nach Jahren und Jahrzehnten nicht mehr lieferbar ist, manchmal gibt es baugleichen oder zumindest anpassbaren Ersatz. Man muss es nur einfach wissen.
Quelle: Westfälische Nachrichten