Webstuhl neu bespannt – Das Geheimnis der Fäden

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Tecklenburg-Leeden – 
„Zähl nochmal zehn ab!“ Andrea Breitenfeld behält die Übersicht in dieser entscheidenden Phase. 164 Fäden hängen über dem sogenannten Warenbaum, jetzt gilt es, sie dort zu befestigen. Da bedarf es vieler Hände. Zwei gehören Magdalene Dzierzon. Mit ihrer Lesebrille ausgestattet sortiert die Westerkappelnerin das feine Garn. Nach fast zwölf Stunden intensiver Arbeit scheint das Ziel in greifbare Nähe zu rücken. Der historische Webstuhl der Spinn- und Webgemeinschaft Leeden ist wieder mit Garn bespannt. Und bald lässt sich dort auch wieder weben. Aber bis dahin war es ein weiter Weg.

Von Jörg Wahlbrink

„Wir konnten den Webstuhl nicht mehr neu bespannen.“ Helga Wahlbrink, eine der beiden Leiterinnen der Spinn- und Webstube, war im Herbst in Sorge. Den letzten Schafwollteppich hat die 83-Jährige vor einem halben Jahr gewebt. Auf dem Weihnachtsmarkt in Leeden sind die Teppiche des Heimatvereins immer sehr begehrt. Beim letzten Basar gab es daher nur einen Teppich, denn der Kettbaum, also die vor zwölf Jahren aufgespannten 164 Längsfäden, waren aufgebraucht.

„Wilhelmine Fortmeyer ist die einzige von uns, die das Wissen hat, den Stuhl zu bespannen“, so Wahlbrink weiter. Kein Wunder, denn die 97-Jährige brachte den Trittwebstuhl mit in die Spinnstube. Sie ist das letzte noch lebende Gründungsmitglied des 1949 entstandenen Vereins. Bis dato hatte sie im Altkreis Tecklenburg vielfach die alten Webstühle eingerichtet. Aber jetzt im gesegneten Alter konnte sie die praktische Umsetzung nicht mehr leisten.

Ratlosigkeit machte sich bei der Spinn- und Webgemeinschaft des Heimatvereins Leeden breit. Versuche, den 150 Jahre alten Webstuhl selbst zu bespannen, waren nicht von Erfolg gekrönt. Ging damit das Wissen um diese Kulturtechnik endgültig verloren? „Theoretisch ist die Technik immer vorhanden, aber das dann praktisch umzusetzen, dass ist gar nicht so einfach.“ Rudolf Rogowski, Vorsitzender des Heimatvereins, brachte das Dilemma auf den Punkt. „Früher konnte ja jeder Bauer weben. Da stand auf jedem Bauernhof ein Webstuhl, das ist jetzt anders.“ Seine Frau Brigitte, ebenfalls Leiterin der Spinngruppe, berichtet: „Das, was wir konnten, haben wir gemacht. Vor zwei Monaten haben wir die Kette geschert.“ Sie ergänzt: „Fast vier Stunden brauchten wir, die 164 Fäden Garn über zehn Meter zusammenzulegen. Aber wie´s dann weiterging, wussten wir nicht.“

Doch die Lösung war viel näher als gedacht, sozusagen im eigenen Stall. „Meine Frau kann das.“ Helmut Breitenfeld, im Verein zuständig für den Bereich Natur- und Umweltschutz, wusste dieses zu berichten. Und damit hatte sich ein Glücksfall für die Spinn- und Webgemeinschaft aufgetan, denn Andrea Breitenfeld kennt das Handwerk seit Jahrzehnten: „Ich habe das Weben im Rahmen meiner Ausbildung zur Ergotherapeutin erlernt,“ erzählt die Leedenerin. Später habe sie in der Nähe in Wildeshausen ehrenamtlich bei einer Webstube mitgearbeitet. Nach dem Umzug nach Leeden gestaltete sich das Weben bei ihr schwierig: „Zuhause ist leider kein Platz für meinen großen Webstuhl“. Der ist derzeit anderswo eingelagert.

Um so souveräner agiert sie jetzt zwischen den Damen der Spinn- und Webgemeinschaft. Jeder Handgriff sitzt, auch wenn es darum geht, mittels eines Hakens die Fäden mit den Ösen und Litzen des sogenannten Geschirrs filigran zu verbinden. „So, jetzt machst du da einen Doppelknoten und anschließend bringen wir die Fäden auf Spannung“. Magdalene hört aufmerksam zu und beginnt die Fäden an der Anbindleiste zu verknoten. Diese wird am Warenbaum verkeilt und fertig.

Jetzt der große Moment: Andrea Breitenfeld setzt sich in den Webstuhl. Das Weben am Trittwebstuhl ist relativ unkompliziert: Der Schussfaden wird mit dem Schiffchen durch das Fach geführt. Das sieht gut aus, die ersten Zentimeter Teppich aus Schafwolle entstehen. Zufriedenheit auf allen Gesichtern. Und für Andrea Breitenfelds eigenen Webstuhl scheint sich eine Lösung aufzutun. Demnächst wird er in der Leedener Webstube stehen.

Die Frauen der Spinn- und Webgemeinschaft kommen außerhalb der Ferienzeiten an jedem Donnerstag ab 14 Uhr im Stiftshaus zusammen. Dann wird Wolle gezupft, gesponnen, Kordeln gedreht und gewebt. Die gesponnene Wolle wird gezwirnt. Zu den Vorarbeiten, bevor man aus der Schafwolle Socken oder Teppiche machen kann, gehören das Waschen, Trocknen und Zupfen der Wolle. Aber auch der gemütliche Teil kommt nicht zu kurz. Es gibt eine Kaffeepause mit Kuchen oder selbst gebackenem Brot. Dabei wird ausgiebig geklönt und auch gesungen. 


Quelle:Westfälische Nachrichten, Jörg Wahlbrink